Zurück in die Kreidezeit – Ein Bericht aus dem Homeschooling im Homeoffice

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Es hat mich kalt erwischt, dieses Ding mit dem Unterricht zu Hause. Erstmal hörte es sich für mich nicht so schlimm an, dass die Schule geschlossen wurde. Aber gleich der erste Tag belehrte mich eines Besseren. Es leben nur noch zwei schulpflichtige Kinder in meinem Haushalt – der älteste Sohn besucht eine Berufsschule und organisiert sich selbst. Die anderen beiden besuchen die 9. Klasse und die E-Phase eines Gymnasiums.

Technische Voraussetzungen in den Familien

Die Bedingungen bei uns zu Hause sind gut: Wir haben einen funktionierenden Internetanschluss im Haus, jedes Kind besitzt einen eigenen Computer und alle haben eine eigene E-Mailadresse. All diese Voraussetzungen sind für viele Schülerinnen und Schüler in Frankfurt nicht die Regel. In vielen Fällen gibt es nur einen Computer im Haushalt. Der muss mit mehreren Geschwistern geteilt werden. Funktionierendes Internet und eigene E-Mailadresse sind auch kein Standard. Auch fehlt häufig ein eigener Arbeitsplatz; meine Kinder haben jeweils einen Schreibtisch in einem eigenen Zimmer.

Wie kommt der Lernstoff in die Familien?

Der Tutor der E-Phase sah die Schulschließung wohl kommen und hat bereits vorab sämtliche E-Mail-Adressen seiner Schülerinnen und Schüler eingesammelt. In den vergangenen Wochen hat er den Versand des Schulstoffs ausschließlich allein mit den Jugendlichen koordiniert.

In der Mittelstufe sah dies jedoch anders aus. Am ersten Abend vor Beginn des Homeschoolings quoll mein E-Mail-Postfach mit Arbeitsanweisungen für den Neuntklässler über: Arbeitsblätter in Geschichte, Grammatik und Texte für Latein, Lateinvokabeln, Links zu Lernvideos in Mathematik und gleichzeitig zahlreiche Übungsaufgaben, Hinweise, dass Lektüren bestellt werden müssen, Bilder aus Büchern abfotografiert, Bewegungsvideos für Sport, lange Texte für Ethik, Reden auf YouTube analysieren… Mir schwirrte der Kopf. Dabei stand dann auch noch: Die Analyse der Rede in Deutsch ist Mittwoch einzusenden, die Mathevideos sind zu schauen und dann ist auf einer Lernplattform bis zum Termin x eine Aufgabe zu erledigen, Ethik bis Donnerstag, Latein ist in Teilen Dienstag und Donnerstag abzugeben, mit Powi und Geschichte muss sich nur beschäftigt werden, keine Einsendetermine. Habe ich was vergessen?

Die Klassenlehrerin organisiert ihren eigenen Fach-Unterricht über Skype: Dienstags, mittwochs und freitags wird Chemie und Biologie gelehrt – mit Arbeitsblättern, die im Unterricht durchgenommen wurden. Perfekte Angelegenheit, wenn wir mal darüber hinwegsehen, dass Skype nicht datenschutzkonform ist und der Server in den USA steht. Der Drucker läuft täglich heiß bei all den Arbeitsblättern.

Wöchentlich ändert sich unser Alltag im Homeschooling

Zusammen mit meinem Sohn sortierte ich in der ersten Woche alle Aufgaben: Was muss bis wann fertig sein, was schafft er allein und wo muss ich unterstützen. Nach mehreren Elternprotesten stellten die Lehrkräfte in der zweiten Woche des Homeschoolings ihre Aufgaben in Ordnern auf Office365 ein – und zwar immer bis 8 Uhr des jeweiligen Schultages. Das hilft, das Arbeitspensum für den jeweiligen Schultag zu minimieren. Drucken musste ich weiterhin. In der dritten Woche ging anscheinend der Unterrichtsstoff aus und die Kinder mussten sich neuen Lernstoff selbst erschließen. Neben meiner eigenen Arbeit im Homeoffice half ich nun bei der Steigerung von Adjektiven in Latein, bei quadratischen Funktionen in Mathematik und bei Steckbriefen der zahlreichen Figuren in der Deutschlektüre. Bis zu den Ferien haben wir alles eingesendet – ich habe mich noch nie so auf die Ferien gefreut wie dieses Mal!

Hessen – rückständig in Ausstattung und Digitalisierung

Nach den Erfahrungen der letzten Wochen schlage ich folgendes vor:

  1. Alle Kinder brauchen zu Hause die gleichen Voraussetzungen, damit die Ungleichheit bei der Bildung nicht noch größer wird: Alle Kinder in Hessen sollen deswegen ein Tablet mit einem Online-Zugang erhalten, um so am digitalen Lernen teilnehmen zu können. Andere Bundesländer im Norden Deutschlands haben schon gezeigt, wie es funktionieren kann.
  2. Alle Kinder ab einer bestimmten Klasse benötigen eine eigene E-Mailadresse. Das muss zentral gesteuert werden, da aktuell Datenschutzregeln massiv verletzt werden.
  3. Alle Schulen brauchen digitale Lernplattformen – am besten wäre eine zentrale Lösung für ganz Hessen. Ich schaue neidisch nach Mecklenburg-Vorpommern. Dort wurde in den letzten Wochen eine zentrale digitale Lernplattform eingeführt.
  4. Lernvideos sind anzubieten: Fachlehrinnen und Fachlehrer können sich zusammentun und ein Video für den aktuellen Stoff der Jahrgangsstufe erstellen. Das kommt allen in Hessen zu Gute.
  5. „Digital lernen“ können Kinder und Jugendliche nur, wenn es vorher eingeübt wurde. Im „normalen“ Betrieb nach Corona muss das regelmäßig geübt werden, damit so eine Art des Unterrichts keine Ausnahme ist, sondern als selbstverständlich gesehen wird.
  6. Mein Sohn hatte in den letzten drei Wochen keinerlei Kontakt zu seinen Lehrkräften, außer zu seiner Klassenlehrerin im Skype-Unterricht. Es muss eine einheitliche Regelung dazu geben, wie die Schülerinnen und Schüler regelmäßig von ihren Lehrerinnen und Lehrern betreut werden können und auch betreut werden müssen.
  7. Auch die Lehrerinnen und Lehrer sind mit der aktuellen Situation überfordert. Sie brauchen daher Fortbildungen für digitales Lernen, die verpflichtend sein müssen.
  8. Alle reden nur vom Abitur: Das schriftliche Abitur wurde in Hessen abgelegt. Aber ich denke auch an die Haupt- und Realschulen, die derzeit auch die Möglichkeit haben müssen, die Prüfungen durchführen zu können, damit diese Jugendlichen im August eine Lehrstelle antreten können. Die Abschlusskandidatinnen und -kandidaten müssen die Gelegenheit haben, in die Schule kommen zu können, um sich angemessen auf die Prüfungen vorbereiten zu können – vor allem, wenn die Bedingungen zu Hause dafür nicht gegeben sind.
  9. Ich bin der Meinung, dass nach den Ferien der Unterricht in Schichten zu prüfen ist. Die Gesundheit aller Menschen hat oberste Priorität, aber was möglich ist, soll möglich gemacht werden.

Ein Fazit

Ich denke, dass diese Woche alle Eltern gespannt auf die Aussagen des Landes Hessen und des Kultusministeriums warten, wie es nach den Osterferien weitergehen soll…

Jedoch haben die letzten Wochen gezeigt, dass beim Homeschooling in jeder Familie anders gelernt und unterstützt werden kann. Das verstärkt nochmal die generell schon bestehende Ungleichheit zwischen den Schülerinnen und Schülern. Eltern sind nur bedingt geeignet, Lernstoff zu vermitteln und können die Arbeit der Lehrkräfte nicht ersetzen. Die technische Ausstattung verstärkt die Ungleichheit, denn nicht jede Familie hat mehrere arbeitsfähige Computer, einen Drucker und einen Internetanschluss.

Gerade in dieser Zeit ist massiv zu erkennen, was in den letzten Jahren im Bereich des digitalen Lernens versäumt wurde. Die Schulen werden von der schwarzgrünen Landesregierung allein gelassen und versuchen sich nun schnell zu helfen. Sie nutzen die technischen Lösungen von privaten Anbietern – unter Missachtung der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) – und benötigten Sicherheitsstandards. Das muss verändert werden: Private Anbieter haben in Schulen nichts zu suchen. Wir brauchen stattdessen Standards, die unsere Kinder und Jugendlichen schützen und mit denen in Ausnahmesituationen wie dieser ein angemessenes Homeschooling durchführbar ist.

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